"Es hat mir einfach keiner zu erzählen worunter ich leide."
- marmelade schade
- 5. Sept. 2021
- 6 Min. Lesezeit
Interview von Meike (49)
I:Ich fand das mal total spannend als Du mir geschrieben hast, dass das für dich erst mal komisch klingt wenn Männer sagen, dass Männlichkeit für Sie nix gutes ist. Das es für Dich auch erst mal nicht gut klingt, weil Du für Dich gemerkt hast, dass es Dir geht als Frau gut geht, dass Du das gerne bist. Das fand ich spannend, weil das so klang als müssten Weiblichkeit und Männlichkeit, nicht in Hierarchie und-oder Konflikt zueinander stehen. So hatte Ich das verstanden.
M: Das finde ich auch genau so. Ich finde das muss weder in Konkurrenz noch in Hierarchie stehen,
auch nicht, dass das eine gut und das andere schlecht ist. Das ist quasi immer der Punkt mit Männlichkeit, wenn Du sagst Du hast ein Problem mit deiner Männlichkeit, bedeutet es, dass es irgendwas schlechtes beinhaltet und das finde ich perse einfach nicht. Nur weil mensch männlich gelesen wird und sich auch so empfindet und damit zufrieden ist (cis-männlich ist), bedeutet das ja nicht, dass es irgendwelche schlechten Eigenschaften beinhaltet. Für mich ist es erst mal nur ein Geschlecht.
Und ich würde (eigentlich) total gerne weg, von diesem männliche Attribute – weibliche Attribute,
männliche Verhaltensweisen – weibliche Verhaltensweisen, das finde ich totalen Schwachsinn.
Das ist einfach nur gesellschaftlich, für mich ist das ein gesellschaftlich herbeigeführtes Konstrukt.
Das ist sicher auch aus patriarchalen Strukturen erwachsen, aber wenn wir diese überwinden wollen, müssen wir weg von diesen Zuschreibungen, finde ich.
Das Männer genauso empathisch, genauso fürsorglich, genauso umsorgend sein können,
genauso Carearbeit leisten können, das hat sich ja schon auch gezeigt.
I: Das siehst du auch als möglich an?
M: Ja. Klar.
Genauso wie es auch Frauen gibt, wie ich auch selber weiß, dass ich auch ganz gut rummackern kann.Und das bringt mir auch manchmal auch echt viel Spaß. Davon möchte ich jetzt auch nicht weg. (lacht)
I: Denkst Du das alle Attribute eigentlich jedem zugänglich sind, egal ob eine:r jetzt als Mann oder Frau geboren wird?
M: Ja. Auch egal wie mensch sich empfindet. In meiner Welt sollte das egal sein.
Dass es Sachen gibt die einem gesellschaftlich oder durch die Familie anerzogen werden, mit denen mensch sich nicht wohl fühlt, die Scheiße für einen selber sind, ist eine andere Geschichte.
I: Was ich auch total spannend fand, als ich mal sagte, dass Männlichkeit für Dich ja sehr präsent sein müsste, weil du Söhne hast. Und Du meintest, dass hättest Du so gar nicht empfunden. Für Dich wäre das Aufwachsen deiner Söhne eigentlich nicht mit Männlichkeit verbunden gewesen
M.: Nö. (lacht) Ist es auch tatsächlich nicht. Natürlich habe ich meinen Söhnen versucht mitzugeben, wie ich gerne möchte das/wie mit mir als Frau umgegangen wird. Aber im Prinzip habe ich nur versucht meinen Söhnen mitzugeben, wie ich möchte, dass die mit anderen Menschen umgehen. Nicht unbedingt bezogen auf Frau oder Mann. Ich habe denen natürlich auch irgendwas vorgelebt. Ich glaube schon, dass meine Söhne einen feministischen Ansatz mitgekriegt haben, in bestimmten Beziehungen. Auch wenn Sie schon manchmal mackerten, dass finde ich nicht so sehr unterschiedlich zu Töchtern, die ja auch mal durch komische Phasen gehen. (lacht)
Da habe ich nie so groß drüber nachgedacht, ehrlich gesagt. Ich habe einfach nur versucht Ihnen einen respektvollen Umgang mit anderen Menschen mit zu geben. Und ich glaube, dass hat auch ganz gut geklappt. Der eine behauptet gerne mal er sei anarchistisch erzogen worden.(lacht)
I: Und stimmt das?
M.:Glaub ich nicht...weiß ich nicht... kann ich nicht so beurteilen (lacht).
Vielleicht. Also vielleicht im Sinne von tatsächlich Respekt vor anderen haben, Freiräume anderer zu respektieren, anderen Freiräume zu gewähren. Sich so ein Regelwerk auch ein bisschen selbst zu schaffen. Das man sich nicht unbedingt immer an die Regeln halten muss die einem von Staat und Gesellschaft vorgeben werden, es durchaus aber wichtig ist (eigene) Regeln für sich selbst zu haben. Das finde ich ist auch durchaus anarchistisch.
I: Glaubst Du Töchter, hättest Du genauso erzogen?
M.: Glaub ja. Ja. Denke schon.
Ich weiß nicht ob ich da manchmal mehr Angst gehabt hätte vielleicht. So aus einem eigenen Erleben heraus. Ich habe relativ viel(e) Übergriffs und Vergewaltigungs-Erfahrungen. Das hat mich natürlich beeinflusst. Diese Auseinandersetzung mit dem Ganzen, dass ich eh eine ziemliche Entwicklung hingelegt habe, von ich war immer so ganz klein und still und zurückhaltend, es hat mich eigentlich auch nie so richtig jemand gesehen oder wahrgenommen oder gehört,
dass hat sich schon grundlegend verändert (lacht) in den letzten 25 Jahren.
Und dass diese Entwicklung aber dazu geführt hat, dass ich mich als Frau (auch ) gerne mag, dass ich gerne Frau bin. Weil ich mich einfach viel mit mir selber auseinander gesetzt habe, in diesem Kontext.
I: Du hast davon erzählt, dass es die seltsame Entwicklung gibt, dass in feministischen Diskursen sich inzwischen Männer dazu berufen fühlen, Frauen* darüber aufzuklären was der richtige feministische Standpunkt sei. Das es sich aber nicht richtig anfühlen kann, wenn Männer Frauen bevormunden, was jetzt feministisch sei.
M.: Neu ist das nicht. Es poppt halt immer wieder auf. Das gab es immer schon.
Zum Beispiel die Diskussion: Dürfen Männer irgendwo ober-körperfrei tanzen, in unseren Zentren.
Ich fand das immer Schwachsinn, das nicht. Da haben mir dann Männer ganz oft erzählt, dass ich mich davon getriggert fühlen müsste. Ich fand aber nicht dass ich das muss. (lacht)
Als es dann los ging, mit Definitionsrecht, Definitionsmacht, als Übergriffe in der Szene mehr thematisiert wurden, dass häufig Männer diejenigen waren die Frauen an die Öffentlichkeit gezerrt haben, weil die sich jetzt unbedingt mit ihrem Übergriff auseinandersetzen mussten,
beziehungsweise weil sie sich mit dem Übergriff auseinandersetze wollten,
und nicht die eigentlich Betroffene.
Inzwischen beobachte ich da aber auch andere Muster.
Die Entwicklung, generell in unsere Szene, geht wie auch im Rest der Gesellschaft immer mehr ins Reaktionäre, es geht immer mehr in Verbote über.
Das hat für mich in Anführungszeichen fast so was von der Art von Rechtsruck:
Wir bauen uns wieder ganz viele Schubladen, es werden immer mehr Menschen ausgegrenzt.
Unterschiede werden nicht mehr ausgehalten, sondern führen zu Ausgrenzung, Verstoßung und Verbannung. (Hier) Ganz Viel im Kontext von: toxischer Männlichkeit, Übergriffigkeit, wir brauchen Freiräume. Da fehlt mir ganz viel die Freiheit andere Standpunkte zu haben
Es wird sich generell viel weniger miteinander auseinander gesetzt, viel weniger miteinander geredet. Und ich hasse es wenn mir irgendein Typ erzählen will, dass ich unter toxischer Männlichkeit leide. Es hat mir einfach keiner zu erzählen worunter ich leide.
Schonmal gar nicht in so einem feministischen Kontext, und schon gar nicht durch so ein patriarchales Gehabe. Das finde ich extrem patriarchal, dieses ich zwinge Dir meine Meinung auf und du hast das und das zu vertreten sonst bist du raus, das empfinde ich als patriarchal.
I: Und das empfindest Du als eine neue Qualität.
M.: Ja. Es läuft gerade alles so sehr, nach irgendeinem Schema, und wenn Du in dieses Schema nicht passt, Dich da nicht systemkonform verhältst dann bist Du raus.
Ich habe/hatte für mich das Gefühl, ich bin ja in dieser Szene gelandet links geworden habe mich damit auseinander gesetzt, weil ich mich nicht gesellschaftskonform verhalten habe, diese Gesellschaft so nicht anerkannt habe, etwas verändern wollte einen anderen Umgang miteinander wollte. Was da gerade in der Szene passiert ist so was von bieder und prüde und gesellschaftskonform, dass ist unfreier als die Gesellschaft vor dreißig Jahre, das finde ich bedenklich und das ist mir neu.
I: Nimmst da eine gender-ebene wahr?
M.: Was ich wahrnehme ist schon ein bisschen geschlechtsspezifisch. Dadurch das einige Männer die besseren Feminist:innen sein wollen, und dadurch aus meiner Sicht völlig über die Stränge schlagen. Wenn ich von irgendwelchen Männern höre, dass sie gar keine Frauen mehr ansprechen dürften auch nicht mehr flirten dürften, dann empfinde ich das als bedenklich.
Weil in allem so eine Angst mitschwingt irgendeine Grenze zu übertreten.
Es ist ja auch richtig zu versuchen die Grenzen anderer Menschen zu wahren.
Manchmal braucht es auch vielleicht auch ein; Stopp das ist die Grenze; vom gegenüber.
Man kann nicht von vorne rein alles ausschließen, damit wird einem viel genommen was gar keine Grenze verletzt. Wenn man versucht von vornherein andere Menschen Grenzen zu zuschreiben ist dass auch wieder so ein Überstülpen, für die andere Person.
I: Aus der Idee sich grenzwahrend zu verhalten entsteht es dann, dass Männer Frauen Ihre Grenzen definieren ohne sie überhaupt zu fragen?
M.: Ich möchte mir eigentlich sowieso von gar keinem vorschreiben lassen wo meine Grenzen zu sein haben, es kommt da auch gar nicht so aufs Geschlecht drauf an.
Doch grade wenn es um feministische Inhalte geht, dann muss ich,einfach sagen laufe erst mal 10 Jahre in meinen Schuhen, und dann können wir uns weiter unterhalten, kannste aber nicht.
Deshalb solltest Du Dir anhören wie und wo Ich Meine Grenzen definiere. Und die darfst Du dann auch bitteschön gerne wahren. Bei der nächsten Frau musst du wieder fragen. Oder beim nächsten Menschen musst Du wieder fragen. Männer habe auch Grenzen, da sollte auch ich als Frau auch nicht drübertrampeln. Und Alle anderen Geschlechter haben auch wieder eigene und andere Grenzen. Jede:r Mensch hat seine eigenen Grenzen. Wir sollte anfangen
die Grenzen anderer Menschen zu wahren, diese im Zweifel auch zu erfragen, und vielleicht ein bisschen vorsichtiger auf einander zu gehen, im Sinne von ich teste vielleicht vorsichtig an aber gebe der anderen Person immer die Möglichkeit zu sagen; Stopp!

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